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Die vergessenen Wege der Kunst - The Forgotten Ways of Art

1998
1970
1945
Main Post 18 December 2013
By Matthias Wiedemann

Alle wollen im Grunde Provenienzforschung, zusätzliche Mittel sind aber nicht in Sicht


Problemfall „Martha Liebermann im Lehnstuhl“: Das Gemälde hat die Gestapo 1943 nach Marthas Freitod beschlagnahmt. Es gilt damit als NS-verfolgungsbedingt „abhandengekommen“. Eigentümer sind deshalb vor dem Recht die Liebermann-Erben. Aber: Besitzerin bleibt die Sammlung-Dr.-Georg-Schäfer-Stiftung, weil der Anspruch auf Herausgabe verjährt ist.


Erben erheben Ansprüche: „Beati possidentes“ (Die glücklichen Besitzer) – ein Bild von Adolph von Menzel.

Schon immer erforschen Kunsthistoriker, welchen Weg Kunstwerke durch die Jahrhunderte zurückgelegt haben. So kann die prominente Provenienz etwa eines Gemäldes, also seine Herkunft aus einer berühmten Sammlung, erheblich zu dessen Wert beitragen. Seit einigen Jahren gibt es einen Zweig der Provenienzforschung mit politischer Dimension: Die Suche nach Raubkunst: Kunstwerke, die in der NS-Zeit ihren rechtmäßigen, meist jüdischen Eigentümern durch Zwangsverkauf oder Beschlagnahmung weggenommen wurden. Viele dieser Werke tauchten nach dem Krieg im Kunsthandel wieder auf und landeten in Museen und privaten Sammlungen.

In der Sammlung Georg Schäfer in Schweinfurt befinden sich 21 Bilder solcher Provenienz, sagt die Berliner Historikerin Monika Tatzkow. Die Sammlung-Dr.-Georg-Schäfer-Stiftung spricht von 15 bis 20 Arbeiten. Die Stiftung ist Eigentümerin der etwa 1000 Gemälde und 4000 Arbeiten auf Papier, die den Bestand des Museums Georg Schäfer (MGS) bilden. Bauherr und Eigentümer des Hauses ist der Freistaat, Betreiber die Stadt. Juristisch gesehen ist die Stiftung rechtmäßige Eigentümerin auch der Arbeiten, die heute als Raubkunst gelten. Der Sammler Georg Schäfer (1896–1975) hatte sie ab Mitte der 1950er Jahre nach Ablauf aller Restitutionsfristen im Kunsthandel erworben.

„Er hat in großen Chargen gekauft, und ich kann mir nicht vorstellen, dass damals die Frage nach der Herkunft der erste Impuls war“, sagt Sigrid Bertuleit, Leiterin des Museums Georg Schäfer. Eine Frage, die 50 bis 60 Jahre später immer größere Bedeutung erhält: In der „Washingtoner Erklärung“ von 1998 haben sich 44 Staaten und etliche Organisationen verpflichtet, Werke der Raubkunst zu identifizieren, Vorkriegseigentümer oder Erben ausfindig zu machen und eine „gerechte und faire Lösung“ zu finden.

Die Erklärung fordert also zuerst Forschung und dann Ausgleich, womit nicht unbedingt Rückgabe gemeint sein muss. Sie ist aber für die öffentlichen Einrichtungen, an die sie sich richtet, rechtlich nicht bindend. Und deshalb erst recht nicht für private Sammlungen. Monika Tatzkow sieht im Fall Schweinfurt dennoch sowohl die – private – Stiftung als auch Stadt und Freistaat in der Pflicht. In der derzeitigen personellen Ausstattung ist an zusätzliche Provenienzforschung am MGS nicht zu denken, sagt Sigrid Bertuleit: „Dann gäbe es keine Ausstellungen mehr.“ Seitens der Stiftung sind zusätzliche Ausgaben nicht geplant: „Dort, wo wir auf solche Fälle stoßen, wird man das nicht unter den Teppich kehren“, sagt Wolfgang Köster, der mit Fritz Schäfer, Sohn von Georg Schäfer, den Vorstand der Stiftung bildet. „Die Familie Schäfer hat einen Millionenbetrag eingebracht, aus dessen Erträgen die Stadt Schweinfurt einen jährlichen Beitrag von 140 000 bis 150 000 Euro zum Unterhalt des Museums bekommt.“

Herbert W. Rott, Hauptkonservator der Bayerischen Staatsgemäldesammlungen Neue Pinakothek in München, sitzt als Vertreter des Freistaats im Museumsbeirat des MGS. „Ich habe immer wieder darauf gedrungen, dass das Thema ernst genommen wird.“ Auch er sieht in der Unterscheidung zwischen öffentlichen und privaten Sammlungen eine moralische Schieflage. In Zeiten schnell über das Internet erreichbarer Datenbanken werde es zudem immer wieder neue Erkenntnisse geben. Aber: „Provenienzforschung ist extrem zeitaufwendig. Das bedeutet zusätzliche Stellen und zusätzliches Geld.“

Die Frage, ob der Freistaat bereit wäre, solche Mittel bereitzustellen, müsse die Politik entscheiden. Eine gesetzliche Grundlage dafür gebe es nicht. Es fehle auch an einer einheitlichen Linie, wie mit dem Thema umgegangen werden solle. „Aber wenn der gesellschaftliche Druck weiter zunimmt, wird auch hier etwas passieren.“ Rott hielte das für unbedingt wünschenswert, ohne allerdings Druck auf die Stiftung ausüben zu wollen.

Provenienzen klären und damit transparent umgehen: Das will auch der Schweinfurter Oberbürgermeister Sebastian Remelé. „Ob sich dann daraus eine Kompromisslösung ergibt, die möglichen Erben und vielleicht auch den moralischen Ansprüchen Genüge tun kann, das muss das Ergebnis der Forschung erbringen.“ Die Stadt sehe sich nicht verpflichtet, diese Provenienzforschung aktiv zu betreiben, sei aber bereit, sie zu unterstützen.

Provenienz

Der Begriff Provenienz kommt aus dem Lateinischen. Das Verb provenire bedeutet herkommen, herauskommen, auftreten; im Deutschen wird Provenienz sinngemäß verwendet für „die Herkunft betreffend“. Die Aufgabe der Provenienzforschung ist laut dem Deutschen Museumsbund „die Herkunft und die Geschichte von Kulturgegenständen und den Verbleib von vermissten Kulturgegenständen zu klären“. Der bestmögliche Fall in diesem Zusammenhang ist der lückenlose Nachweis der Herkunft beziehungsweise Besitzverhältnisse. Bei den Angaben zur Provenienz, etwa für ein Gemälde, stehen folgende Angaben im Fokus: Bei welchem Kunsthändler oder Privatsammler taucht das Werk zuerst auf, wer oder welches Museum hat es anschließend erworben, wo befindet es sich aktuell?


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