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«Alles ganz hervorragende Qualitäten» - "All of very excellent quality"

1998
1970
1945
Neue Zürcher Zeitung 9 December 2013
von Jörg Krummenacher

Aus dem Tresor von Paul Rosenberg geraubte Bilder: «Die sitzende Frau» von Matisse. (Bild: Staatsanwaltschaft Augsburg / AP)

Der Schwabinger Kunstfund hat die Provenienzforschung in den Fokus gerückt. Ein Dokument im Archiv des Bundesgerichts gibt vertieft Einblick in den Kunstraub der Nationalsozialisten und ihren Bezug zur Schweiz.

Die Aufregung um den Fund von 1400 Kunstwerken bei Cornelius Gurlitt in München ist abgeflaut, eine Task-Force hat sich an die Recherchen zur Provenienz der Werke gemacht. Laufend wird die öffentliche Liste möglicher NS-Raubkunst in Gurlitts Sammlung erweitert: Am Wochenende waren 327 Werke unter www.lostart.de aufgeschaltet. Insgesamt sollen etwa 590 der sichergestellten Bilder durch die Nationalsozialisten geraubt worden sein. Weitere 380 werden der «entarteten Kunst» zugerechnet.

Die Suche nach der Herkunft der Bilder und die Klärung juristischer Ansprüche ist ein komplexes Puzzlespiel. Das gilt heute, da eine Reihe internationaler Datenbanken beigezogen werden kann, und das galt auch für die Jahre nach Kriegsende, als die Alliierten viele der geraubten oder beschlagnahmten Kunstwerke wieder an ihre Vorbesitzer zurückgeben konnten. Gelegentlich führt die Spur in die Schweiz.

Görings Privatsammlung

Ein Brief, adressiert an den «sehr verehrten Herr Reichsmarschall», ist einer von zahllosen Puzzlesteinen. Er befindet sich im Archiv des Bundesgerichts in Lausanne und beschreibt anschaulich, mit welchem Eifer sich die Nationalsozialisten nach ihrem Einmarsch in Frankreich 1940 der Bereicherung hingaben. Verfasst hat ihn Walter Andreas Hofer, ein Kunsthändler, der in Paris beschlagnahmte Kunstwerke für Reichsmarschall Göring aussuchte. Dieser stellte sich eine eigene Privatsammlung zusammen, parallel zu den Bemühungen Hitlers zum Aufbau eines Führermuseums in Linz. Dabei profitierte Göring von den Beschlagnahmungen des Einsatzstabs von Reichsleiter Alfred Rosenberg (ERR). Das Ausmass war gigantisch: Die Nationalsozialisten sollen 600 000 Kunstwerke in diversen Ländern Europas geraubt haben, viele davon in Frankreich.

Der Brief Hofers stammt vom 26. September 1941. Periodisch berichtete er Göring von seinen Aktivitäten auf dem Pariser (Raub-)Kunstmarkt, und regelmässig kam dieser nach Frankreich, um sich die ihm genehmen Werke auszusuchen. Diesmal schrieb Hofer besonders euphorisch: Er freue sich, mitteilen zu dürfen, dass die französischen Bilder des 19. Jahrhunderts, «die ich kürzlich für Sie aussuchte», von ganz aussergewöhnlicher Qualität seien, und er berichtete von den geplünderten Sammlungen: jener «des Juden Paul Rosenberg», der Familie Rothschild, von Braque, Joseph Rottier und weiteren.

Aus Tresor geraubt

Angetan war Hofer besonders von den Werken aus den berühmten Sammlungen Rosenberg und Rothschild. «Alles ganz hervorragende Qualitäten», ereiferte er sich und listete 46 Bilder von Paul Rosenberg auf, die er für Göring ausgesucht und beim ERR reserviert habe: «2 Ingres Zeichnungen, 7 Bilder und 1 Zeichnung von Corot, 1 Aquarell von Daumier, 3 Bilder von Courbet, 1 Bild von Pissarro, 4 Pastelle und 1 Bild von Degas, 1 Bild von Manet, 5 Bilder von Sisley, 3 Aquarelle von Cézanne, 4 Bilder von Monet, 3 Zeichnungen und 5 Bilder von Renoir, 1 Bild von van Gogh, 1 Bild und 2 Zeichnungen von Seurat und 1 Bild von Toulouse-Lautrec.»

Dabei handelte es sich um eine Auswahl jener 162 Werke, die der ERR drei Wochen zuvor im Safe einer Bank in Libourne bei Bordeaux konfisziert hatte. Der Kunsthändler Paul Rosenberg hatte dort wichtige Werke seiner Sammlung in Sicherheit zu bringen versucht, bevor er sich mit seiner Familie in die USA rettete. Die restlichen Bilder aus dem Besitz Rosenbergs, so teilte Hofer Göring mit, habe er dem ERR überlassen.

Keinen Gefallen fand er offensichtlich am Matisse-Bild «Sitzende Frau», das sich ebenfalls im Safe befand. Es gelangte auf anderem Weg nach Deutschland: über den in Paris lebenden deutschen Kunsthändler Gustav Rochlitz, von dem es bei Hildebrand Gurlitt landete, bei dessen Sohn Cornelius es nun wieder aufgetaucht ist. Die französische Journalistin Anne Sinclair, Enkelin Rosenbergs, fordert das Bild zurück.

Voller Begeisterung berichtete Hofer auch von den Kunstwerken aus der Sammlung der Baronin Alexandrine Rothschild, die er besichtigt habe: «Das war eine wirkliche Sensation! Es sind 25 Bilder von allerhöchster Qualität und grösster Wichtigkeit, darunter ein zauberhaftes ‹Bild der Infantin Margarete› von Diego Velazquez, das Sie unbedingt für Ihre Sammlung erwerben müssen. Eine solch auserlesene Qualität bei völlig tadelloser Erhaltung werden Sie von Velazquez nie wieder bekommen.»

Hofer schwärmte auch von «Spitzenbildern» van Goghs und Cézannes sowie weiteren Werken auch anderer Sammlungen: einem Mädchenbild von Cranach; einem «Bildnis des Gelehrten Jean Woverius» von Rubens; einer «Madonna mit Kind» von Simone Martini; einem Frauenbild von Lucas Cranach, «dem Gegenstück», wie Hofer schrieb, «zu Ihrem schönen Männerbild von Cranach, das Sie Anfang des Jahres von Fischer, Luzern, erwarben».

Tauschgeschäfte mit Fischer

Die Pariser Raubzüge dienten dazu, die Sammlung Görings zu alimentieren, aber auch dazu, Bilder gegen andere auszutauschen, die Göring besser gefielen. Als «zum Tausch vorzüglich geeignet» beschrieb Hofer Bilder der Sammlung Rosenberg, und auch Werke der Familie Rothschild waren «als Tauschbilder hoch willkommen». Die Begeisterung Hofers war umso grösser, als er, wie er festhielt, bereits «sehr willige Abnehmer dafür!!!» gefunden habe.

Der Luzerner Galerist Theodor Fischer war einer von ihnen, wie etwa die Bergier-Kommission schon im Detail beschrieben hat. Fischer versteigerte «entartete Kunst» aus deutschen Museen, und er handelte mit von den Deutschen geraubten Werken. Bei den Raubgut-Prozessen kurz nach dem Krieg entschied das Bundesgericht, dass er Dutzende von Werken an die früheren Eigentümer zurückgeben müsse, allein 28 an Paul Rosenberg.

Der bisher kaum beachtete Brief Hofers an Göring findet sich nicht zufällig unter den Lausanner Prozessakten, gelangte doch eine Reihe von Bildern aus dem geplünderten Tresor Paul Rosenbergs über Hofer zu Fischer. In einem Buch, das Anne Sinclair über ihren Grossvater geschrieben hat, finden sich wenig schmeichelhafte Zeilen. Es sei unwahrscheinlich, glaubt sie, dass Fischer die Herkunft der geraubten Kunstwerke nicht bekannt gewesen sei: «Viele von ihnen trugen auf der Rückseite Etiketten des ERR, der sorgfältig registriert hatte, aus welcher Sammlung sie stammten.»

Insgesamt, so schreibt der deutsche Autor Hanns Christian Löhr in einem Buch über die Sammlung Göring, seien 54 geraubte Gemälde expressionistischer Meister zu Fischer gelangt, umgekehrt habe dieser 18 Bilder an Göring verkauft. In der Objektdatenbank des Central Collecting Point München, wo die Alliierten nach dem Krieg einen Teil der geraubten Werke sammelten und registrierten, finden sich 167 Einträge – teilweise allerdings doppelt registriert – von Bildern, die über Fischer liefen.

Vermisste Bilder

Paul Rosenberg erhielt nach dem Krieg die meisten der rund 400 geraubten Bilder seiner Sammlung zurück. Etwa 60 sind aber gemäss Anne Sinclair noch immer verschwunden. Insgesamt gaben die Alliierten nach dem Krieg mehr als 61 000 in Deutschland aufgefundene Objekte an Frankreich zurück. Abertausende, ob geraubt oder zerstört, blieben unauffindbar. Allein aus der Sammlung Göring, die 1789 Gemälde zählte, gelten 330 Werke bis heute als vermisst.

Von den Bildern, die bei Gurlitt in Schwabing aufgetaucht sind, stammen zahlreiche aus Frankreich. Zusätzlich zum Matisse aus der Sammlung Rosenberg konnte bisher bei einem weiteren Werk die Eigentümerin ermittelt werden: Honoré Daumiers «Don Quichote und Sancho Panza» stammt aus einer Pariser Privatsammlung. Womöglich finden sich auch in der Schweiz noch geraubte Bilder, von denen bis heute niemand weiss.

http://www.nzz.ch/aktuell/schweiz/alles-ganz-hervorragende-qualitaeten-1.18200503
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