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Die Wege der Raubkunst - The Paths taken by Looted Art

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1945
Badische Zeitung 7 December 2013

Matisse-Gemälde kam über Baden-Baden zur Sammlung Gurlitt.

  1. Die „Sitzende Frau“ von Henri Matisse, die sich in der mit Raubkunst belasteten Gurlitt-Sammlung fand. Foto: dpa

Von den Nazis bei Juden geraubte Kunstwerke sind in den Kriegsjahren in zahlreichen Transporten nach Baden-Baden geschickt worden. Darunter auch das in München-Schwabing bei Cornelius Gurlitt sichergestellte Gemälde von Henri Matisse. Weitere Werke – unter anderem auch von Matisse – sind auf dem Weg nach oder in Baden-Baden verschwunden.

Im Neuen Schloss in Baden-Baden befanden sich sogenannte "Bergungsräume" für "Kunstgut". Dorthin ließ Kurt Martin, Chef der Staatlichen Kunsthalle Karlsruhe und dann auch mächtiger Generalverwalter der oberrheinischen Museen (GVOM), 1944 einen Großteil der von ihm für das geplante große Kunstzentrum in Straßburg "erworbenen" Werke unterbringen. Anlass: Die Alliierten rückten näher. Auch die Akten der badischen Museen wurden nach Baden-Baden gebracht.

Martin (1899–1975) war als Generalverwalter in einer hochrangigen Position und hatte auch Kontakte mit dem "Einsatzstab Reichsleiter Rosenberg" (ERR), der den Raubzug in Europa koordinierte. Martin war mit einem vom NS-Regime zur Verfügung gestellten Etat in Frankreich unterwegs. Unter seinen "Erwerbungen" fanden sich Kunstwerke von jüdischen Eigentümern. Und: Martin kaufte auch bei den in den NS-Kunstraub verstrickten Händlern in Paris ein. Kontakte pflegte Martin zu Hildebrand Gurlitt, dem Vater Cornelius Gurlitts. Von 60 Gemäldeankäufen Martins im Jahr 1941 sollen allein 47 von Händlern in Paris stammen. Darunter findet sich auch der Chefeinkäufer von Hermann Göring, Gustav Rochlitz, der mit Gurlitt nachweislich Geschäfte machte.

Rochlitz schickte geraubte Kunstwerke nach Baden-Baden, darunter auch das bei Cornelius Gurlitt gefundene Gemälde von Matisse. Rochlitz besorgte als Einkäufer für Göring Alte Meister, die der Reichsminister für seine geplante "Norddeutsche Galerie" haben wollte. Im Gegenzug durfte er sich beim ERR bedienen: Rochlitz bekam im Tausch die zuvor Juden geraubten Gemälde der französischen Avantgarde, also Werke zum Beispiel von Picasso, Cézanne und eben Matisse. Und jene schickte Rochlitz auf die Reise – nicht nur in die für den Kunstmarkt wichtige Schweiz, sondern vielfach nach Baden-Baden. Das ist dokumentiert – etwa in der ERR-Datenbank. Die "Sitzende Frau" von Henri Matisse wurde im August 1944 nach Baden-Baden gebracht, wie es in der Datenbank des Deutschen Historischen Museums (DHM) heißt. Eben jene "Sitzende Frau", die die Staatsanwaltschaft Augsburg bei Gurlitt sichergestellt hat und im Internet unter http://www.lostart.de zu sehen ist.

Doch noch weitere Gemälde, darunter acht von Matisse, hatte Rochlitz nach Baden-Baden geschickt. Dazu zählt etwa das Gemälde "Schlafzimmer mit geöffneter Balkontür" aus dem neunten ERR-Tausch von Rochlitz im Mai 1941 – im Juni 1944 dann von einem Transportunternehmen in die Kurstadt gebracht. Wie und wann Matisse’ "Sitzende" zu Gurlitt kam, ist dagegen derzeit noch unbekannt. Rochlitz hat in Vernehmungen nach dem Krieg zu Protokoll gegeben, dass die 14 von ihm nach Baden-Baden geschickten Werke verloren gegangen seien. Das steht im sogenannten Rochlitz-Report, der unter anderem im Nationalarchiv der britischen Regierung liegt.

Doch an der Darstellung von Rochlitz gibt es begründete Zweifel – heute mehr denn je. Schon Michael Anton, Experte für Restitutionsrecht, hatte vor Jahren im Hinblick auf vermeintlich verlorene Gemälde einen Täuschungsversuch von Rochlitz vermutet. Warum? Damit Rochlitz die Werke selbst absetzen konnte. Wo sie geblieben sind, ist fast sieben Jahrzehnte nach dem Ende des barbarischen NS-Regimes eine der vielen unbeantworteten Fragen.

 

http://www.badische-zeitung.de/kultur-sonstige/die-wege-der-raubkunst--78143533.html
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