News:

Die verlorene Ehre des Cornelius Gurlitt

1998
1970
1945
Die Welt 19 November 2013

Von Daniel Kothenschulte

Er zitiert Kafka, doch sein Schicksal erinnert an Böll: Wie Literatur hilft, den Münchner Sammler zu verstehen 

In Franz Kafkas Erzählung "Die Strafkolonie" sterben die Verurteilten unter einer speziellen Schreibmaschine: Sie ritzt den Opfern das jeweilige Gebot in den Leib, gegen das sie angeblich verstoßen haben sollen.Wenn sich der Kunstsammler Cornelius Gurlitt nun gegenüber der "Spiegel"-Reporterin Özlem Gezer mit diesen Unglücklichen vergleicht, ist das nicht nur eine etwas dramatisch vorgebrachte Unschuldsbeteuerung. Mit der mordenden Schreibmaschine, von Kafka 1918 erfunden, also um dieselbe Zeit, als viele der expressionistischen Werke seiner Sammlung entstanden, meint Gurlitt die Gnadenlosigkeit der Presse.

Man muss es eingestehen: So ernsthaft einerseits eine überfällige Debatte über den Umgang mit Raubkunst aus der NS-Zeit geführt wurde – mit den Persönlichkeitsrechten des 80-Jährigen verfuhren selbst anspruchsvolle Medien so unbefangen wie jenes Boulevard-Blatt, von dem ein literarischer Klassiker späterer Jahre erzählte – Heinrich Bölls "Die verlorene Ehre der Katharina Blum".

Zahlreiche Details des ursprünglichen "Focus"-Artikels wurden inzwischen widerlegt: Die angebliche "Messie"-Wohnung in Schwabing war nach Aussage einer Augenzeugin der Hausdurchsuchung durchaus sauber. Der viel zu hoch angesetzte Schätzwert von einer Milliarde Euro für eine hauptsächlich aus Papierarbeiten bestehende Sammlung wird nur noch selten wiederholt. Und von den "etwa 1500 Gemälden" sind laut bayerischem Justizministerium noch "1280 Grafiken und Gemälde" übrig geblieben. Bei 590 von ihnen wird ermittelt, ob es sich um "verfolgungsbedingt entzogenen" Besitz jüdischer Sammler handelt. Ihre Provenienz muss nun geklärt werden – das ist man ihren ermordeten und vertriebenen Vorbesitzern und deren Erben schuldig. In den nächsten Tagen wird die Augsburger Staatsanwaltschaft damit beginnen, jene 590 Bilder mit Raubkunstverdacht im Internet zu publizieren.

Für die Beschlagnahme aller anderen Werke aber fehlt wohl jede Rechtsgrundlage. Eine Rückgabe an den Sammler ist eine Frage der Zeit. Man kann die privatistische Beziehung, die Gurlitt über vier Jahrzehnte mit diesen Bildern pflegte, für verschroben halten. Ja, er kann uns selbst wie eine literarische Figur erscheinen. Wie einer jener versponnenen mentalen Einsiedler aus Peter Bichsels Kindergeschichten lebte er mit den Bildern in einer vollkommenen Weltflucht. Wie dessen "Mann, der nichts mehr wissen wollte" blendete er alle anderen Realitäten aus, bis nur noch die Hinterlassenschaft des idealisierten Vaters übrig blieb.

Und doch: Ab und zu gelangten Bilder in den Handel. So wechselte 1962 im Kölner Kunsthaus Lempertz Paul Klees meisterliches Werk "Sumpflegende" (heute im Münchner Lenbachhaus) den Besitzer. Auch ein Stück Raubkunst, dessen rechtmäßiger Erbe, der 83-jährige Jen Lissitzky, erst vor Kurzem vor dem Münchner Landgericht sein Recht bekam. Bei der Versteigerung damals lebte Gurlitts Mutter Helene noch. Nach ihrem Tod 1967 wurde der Sohn gelegentlich bei Auktionshäusern in Bern oder Köln vorstellig.

Cornelius Gurlitt war kein Sammler, er war ein Erbe. Er war kein Kurator wie sein Vater. Er sieht sich bis heute als Bewahrer, und das muss man ihm glauben, auch wenn er damit wohl zuletzt an die Allgemeinheit dachte. Seine offensichtliche Sozialangst stand jedem Sinn für das Öffentliche entgegen. Dass man ihn nun an die Öffentlichkeit zerrt, muss er als traumatisch empfinden.

Wäre er ein Kunstsammler, hätte er mit der Außenwelt, die er fürchtete, in Kontakt treten müssen. Anders als seine Mutter, die Leihgaben an Ausstellungen schickte, verschloss sich der Mann, der seine Bilder vergötterte, aber nach eigener Aussage nie eine Liebesbeziehung zu einem Menschen führte. Er kaufte nicht dazu, er hielt zusammen. Hätte er die Kollektion seines Vaters um Zukäufe ergänzt, hätte er sie nur verfälscht. So aber formte sie ein bleibendes Porträt des Vaters, der 1955 selbst über die gesammelten Papierarbeiten schrieb: "Ich weiß aber, was mir diese Blätter bedeutet haben: das Beste meines Lebens."

Auch diese Feststellung ist vielsagend, spricht daraus doch ebenfalls eine ausschließliche Liebe. Schon Hildebrand Gurlitt scheint seine Bilder mehr geliebt zu haben als Frau und Kinder. Wen mag es wundern, dass sich dieses fetischisierende Verhältnis zu den Kunstwerken auf den Sohn übertragen hat.

http://www.welt.de/print/die_welt/kultur/article122028649/Die-verlorene-Ehre-des-Cornelius-Gurlitt.html
© website copyright Central Registry 2024