News:

Wie Staatsgalerien von NS-Raubkunst profitieren - How State Galleries benefit from Nazi-looted Art

1998
1970
1945
SWR 9 October 2013

Stefan Koldehoff, Kunstkritiker, über das Flechtheim-Projekt 15 deutscher Museen

Noch immer hängen in den Kunstmuseen der Welt Bilder, deren rechtmäßige Besitzer nicht ermittelt sind. Es handelt sich dabei meist um NS-Raubkunst, die auf zweifelhaften Wegen in die Ausstellungsräume gelangte. Eine peinliche Angelegenheit für die Museen. Jetzt gehen 15 deutsche Museen an die Öffentlichkeit und zeigen Werke aus der berühmten Sammlung des jüdischen Kunsthändlers Alfred Flechtheim und veröffentlichen auf einer Website Forschungsergebnisse zur Herkunft der Kunstwerke.

Kunsthändler Alfred Flechtheim

Kunsthändler Alfred Flechtheim

Unter den teilnehmenden Museen sind zum Beispiel die Staatsgalerie Stuttgart, das Städel in Frankfurt, die Hamburger Kunsthalle und die Staatliche Kunsthalle Karlsruhe. Ist es ein wichtiger Schritt für die Vergangenheitsbewältigung der Museen, wenn sie Kunstwerke, die einst Flechtheim gehörten, zeigen?

Es ist auf jeden Fall ein wichtiger Schritt, aber ich glaube, dass die Art und Weise, wie das jetzt geschieht, kein ausreichender Schritt ist.

Aber ist das nicht wie eine öffentliche Selbstanklage: Seht her, das sind Werke, die sich in unserem Besitz befinden, von denen wir aber gar nicht genau wissen, wo sie herkommen?

Nein, genau das ist es eben gerade nicht. Es geht hier nämlich um zweierlei Dinge, die man eigentlich, und das geht eindeutig aus internen Papieren dieses Arbeitskreises hervor, schön voneinander getrennt halten möchte. Auf der einen Seite möchte man Alfred Flechtheim als den großen Promoter der Moderne feiern, der er tatsächlich gewesen ist. Ohne ihn hätte es wahrscheinlich im konservativen deutschen Kaiserreich so schnell keinen Kubismus, keinen Picasso und vielleicht auch keinen van Gogh gegeben. Anderseits möchte man diese Demonstration der Wertschätzung nicht so gerne mit der Restitutionsthematik vermengen. Denn die ist ein anderes Paar Schuhe, und das hat übrigens auch dazu geführt, dass eine Reihe von Museen, beispielsweise alle Berliner Museen, beispielsweise auch das Wallraf-Richartz-Museum in Köln oder das Museum Ludwig in Köln, ausdrücklich gesagt haben, dass sie an diesem Projekt nicht teilnehmen.

Ich habe gelesen, das Museum Ludwig würde teilnehmen, was mich gewundert hat, denn es musste ja erst im Juni ein Gemälde von Kokoschka an die Erben Flechtheims zurückgeben.

Genau. Das ist aber nicht der Grund, warum das Museum Ludwig nicht teilnimmt. Wer teilnimmt ist das Museumsreferat der Stadt, wo die beiden Provenienzforscher angestellt sind, die sich um alle Kölner Museen kümmern. Wenn Sie also auf die Liste der teilnehmenden Museen schauen, finden Sie zwar die Auflistung "Museen der Stadt Köln", damit sind aber nicht das Wallraf-Richartz-Museum und auch nicht das Museum Ludwig gemeint, sondern lediglich diese beiden Wissenschaftler.

Das Museum Ludwig ist in der Tat ein schönes Beispiel dafür, dass Aufarbeitung durchaus stattfindet. Es hat zwar sehr, sehr lange gedauert, und es hat auch erst einen Direktorenwechsel gebraucht, bis man da endlich Fortschritte gemacht hat, aber letztendlich hat man sich dann doch dazu entschieden, dieses von Ihnen genannte Portrait der Schauspielerin Tilla Durieux von Oskar Kokoschka vor die sogenannte Limbach-Kommission zu bringen. Das ist eine sehr honorige Kommission aus unabhängigen Wissenschaftlern, auch Philosophen, in der unter anderem Jutta Limbach, Rita Süssmuth und Richard von Weizsäcker sitzen.

Diese Kommission wurde eingerichtet, um solche unklaren Fälle vielleicht doch irgendwie zu klären oder jedenfalls ein Urteil zu sprechen, dem sich dann die Anrufenden zu unterwerfen haben. In den über zehn Jahren ihres Bestehens ist die Kommission aber erst knapp ein Dutzend Mal tätig geworden, weil bisher nur sehr wenige Museen bereit waren, die Kommission einzuschalten. Ich denke, das lässt tief blicken, was den Willen der deutschen Museen angeht, tatsächlich offen mit der Vergangenheit umzugehen.

Diese Limbach-Kommission scheint ja einen Konstruktionsfehler zu haben, denn offenbar wird sie nur dann tätig, wenn sowohl Erben als auch Museen tätig werden wollen.

Das ist genau der Fall. Und das unterscheidet die Kommission auch von anderen vergleichbaren Gremien, beispielsweise in Österreich oder den Niederlanden, wo es ausreicht, wenn nur eine Seite tätig wird.

Ein weiterer Punkt ist vielleicht auch ganz symptomatisch für das gesamte Flechtheim-Projekt. Diese Initiative wurde nämlich auf den Weg gebracht, ohne die Erben Alfred Flechtheims, ohne die Anwälte, ohne die Nachfahren mit einzubeziehen. Man hat sich einfach eine Website alfredflechtheim.com gesichert, ohne um Erlaubnis zu fragen, ohne auch nur mal nachzufragen, ob es denn vielleicht irgendwelche Unterlagen oder Recherchen gibt, die wichtig sein könnten für diese Darstellung. Ich bin, ehrlich gesagt, sehr skeptisch, ob diese Transparenz, die im Zusammenhang mit dem Projekt immer wieder im Munde geführt wird, auch tatsächlich so gemeint und gewollt ist.

Die Problematik der NS-Raubkunst ist ja nun seit Jahrzehnten bekannt. Warum winden sich die Museen immer noch so sehr?

Ich glaube, weil es zum einen sehr schmerzhaft ist, ein Werk zu verlieren. Sie kennen die Etats der deutschen Museen. Es gibt einfach im Moment kein Geld in öffentlichen deutschen Museen, um wichtige Werke zu halten, geschweige denn neue zu kaufen. Deswegen ist es natürlich schmerzhaft, wenn sich beispielsweise ein Museum, wie gerade das Museum Ludwig in Köln, von einem bedeutenden Kokoschka-Portrait trennen muss. Und genauso schmerzhaft wäre es für die Münchner Museen, die Werke von Max Beckmann, um die die Flechtheim-Erben bitten, zurückzugeben oder den Juan Gris und den Paul Klee, um die es in der Kunstsammlung Nordrhein-Westfalen geht.

Dennoch haben sich 1999 alle öffentlichen Museen in Deutschland verpflichtet, NS-Raubkunst zu restituieren, wenn bestimmte Kriterien zutreffen. Aber geschehen ist seitdem nicht viel.

Und dann gibt es noch einen zweiten relevanten Punkt: Wer sind eigentlich die Leute, die diese Forschung betreiben? Es gibt immer noch nur eine Handvoll Museen in Deutschland, die unbefristet festangestellte Provenienzforscher haben. In den anderen Häusern sind es in der Regel Zeitverträge. Da forscht mal jemand zwei Jahre, trägt was zusammen, dann wird der Vertrag aus Kostengründen nicht verlängert, und jemand Neues muss sich komplett neu einarbeiten, während derjenige, der die Vorarbeit geleistet hat, mit seinem Wissen nicht selten auf den Markt geht, um privat die Informationen an die Erben weiterzugeben.

Es ist also insgesamt eine sehr ungute Situation, weil die öffentliche Hand, sprich die Träger der Museen, also die Städte, die Kommunen, zum Teil auch der Bund, immer noch nicht ausreichende Mittel für diese Forschungen zur Verfügung stellen.

English summary:

Asked if this should be seen as an exercise in transparency, in that the museums are documenting works in their collections whose origins are uncertain, Koldehoff replies that it is clear from the internal papers of the working group that they wish to keep the two issues separate. On the one hand they want to celebrate Alfred Flechtheim, the great promoter of modernism. On the other hand, they do not wish to address the restitution issue correctly Hence, a number of museums, including all the Berlin museums, the Wallraf-Richartz Museum in Cologne and the Museum Ludwig in Cologne have explicitly stated that they not participated in this project.

Another point, Koldehoff points out, is perhaps symptomatic of the whole entire Flechtheim project. This initiative was in fact launched without the lawyers or the heirs of Alfred Flechtheim, the descendants, being involved. The project has just secured a site alfredflechtheim.com, without asking permission, without even time to ask whether there was perhaps any documentation or research out there that might be important for this presentation. He is very skeptical that the 'transparency' that is claimed by the project members over and again, is actually meant and wanted.

He sees the museums feeling pain at the prospect of losing the works of art.  There is simply no money at the moment in German public museums to keep important works, let alone buy new ones. Therefore, he sees that it is of course painful when, for example, a museum, just like the Museum Ludwig in Cologne, is to be separated from a major Kokoschka portrait. And it would be as painful for the Munich museums to return the works by Max Beckmann as to ask the Flechtheim heirs to give them up. The same is true of the Juan Gris and Paul Klee at stake in the art collection of North Rhine-Westphalia.

He reminds the interviewer that in 1999, all public museums in Germany  agreed to restitute Nazi-looted art, if certain criteria are met. But since then not much has happened.

He reflects on a second relevant point: Who are the people who are in charge of this research? There are still only a handful of museums in Germany, which have unlimited salaried provenance researchers. In the other museums, researchers are on short-term contracts. So the research by the museums is often being done by someone new, and so is repeated, while the person who did the groundwork and has the knowledge and whose contract was terminated often goes to the private market and passes the information on to the heirs.

So it's overall a very uncomfortable situation because the public sector, the cities, municipalities, partly the federal government, still do not allocate sufficient resources available for this research.

http://www.swr.de/swr2/kultur-info/kulturgespraech/flechtheim-projekt-verschiedener-museen/-/id=9597128/nid=9597128/did=12189648/6b2igk/
© website copyright Central Registry 2024