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Die Schande der Mauerbach-Auktion

1998
1970
1945
Der Standard 30 November 2008
By Thomas Trenkler

Die Provenienzforscherin Lillie spricht von einem "der größten Skandale der Zweiten Republik": Eigentümer vieler im Jahr 1996 versteigerter Kunstwerke waren den Behörden bekannt

Wien - Am 2. Dezember wird im MAK eine von Alexandra Reininghaus zusammengestellte außergewöhnliche Ausstellung eröffnet: Recollecting präsentiert eine schiere Fülle an Kunst- und Alltagsobjekten und deren Geschichte zwischen Raub in der NS-Zeit und Restitution. Ergänzt wird die Schau durch eigens konzipierte Arbeiten etwa von Ines Doujak, Vera Frenkel, Rainer Ganahl, Christian Philipp Müller und Lisl Ponger.

Das MAK qualifiziere sich, so eine Aussendung des Museums, „besonders als Ausstellungsort" - auch deshalb, weil es „1996 Ort der Mauerbach-Benefizauktion" gewesen war. Das MAK hätte „damit ein klares Zeichen" gesetzt. Versteigert wurden damals Kunstobjekte, die als „herrenlos" galten. In vielen Fällen waren sie es aber nicht, wie die Provenienzforscherin Sophie Lillie beweisen kann. Aufgrund der von Christie's durchgeführten Auktion verunmöglichte man es den rechtmäßigen Eigentümern, dass sie ihre Werke je wieder zurückerhalten.

Die beschämende Geschichte begann in den späten 40er-, frühen 50er-Jahren: Die US-Armee übergab der Republik tausende an diversen Orten geborgene Gegenstände. Das Denkmalamt, das in die Enteignungen involviert gewesen war, sollte diese restituieren. Doch man zeigte wenig Eifer: „ Jahre hinweg führte man", so Lillie, „penible Listen über Objekte, deren Eigentümer bekannt waren - scheinbar ohne für sich die Verpflichtung abzuleiten, den Informationen nachzugehen".

Erst auf Druck von Simon Wiesenthal wurde 1969 eine mehr als achttausend Objekte umfassende Liste „herrenloser" Kunst- und Kulturgüter im Gewahrsam des Denkmalamts veröffentlicht. Wiesenthal nannte sie die „Galerie der Tränen". In weiterer Folge wurden 1231 Gegenstände zurückgefordert - und nur 72 restituiert. Alle anderen gingen in das Eigentum der Republik über, die im Gegenzug eine Abschlagszahlung von fünf Millionen Schilling leistete.

Im Dezember 1984 griff der Journalist Andrew Decker das Thema in der US-Zeitschrift ARTnews auf: Er bezeichnete die Existenz von hunderten in der Kartause Mauerbach gelagerten Kunstwerken als A Legacy of Shame (ein Vermächtnis der Schande), wie sein Beitrag hieß. Erneut kam es zur Veröffentlichung der Bestände. 3300 Anträge wurden eingebracht, lediglich 22 Objekte folgte der Staat aus.

Aufgrund medialen Drucks fiel 1995 der Entschluss, die Sammlung Mauerbach mehrheitlich in das Eigentum der Israelitischen Kultusgemeinden zu übertragen. Die Objekte sollten verkauft, mit dem Erlös verarmte Holocaust-Überlebende unterstützt werden.

Jahrzehntelang hatte man alle Zeit der Welt gehabt - und nun musste alles ganz schnell gehen: Im November 1995 transportierte man die Kunstobjekte in ein Depot von Schloss Schönbrunn, wo sie von der IKG beziehungsweise gleich von Christie‘s übernommen wurden. Man packte die Objekte aus, fotografierte und schätzte sie.


fotos: uli kohl / stefan oláh
Gehörte Wilhelm Freund, als herrenloses Gut versteigert: Amerlings „Morgenländerin"
fotos: uli kohl / stefan oláh


Die Rückseiten als stumme Zeugen: Die Eigentümer vieler „herrenloser" Bilder (z.B. Wilhelm Freund) wären ausfindig zu machen gewesen.

Zeichen mit Bedeutung

Sophie Lillie verfolgte das „Spektakel" mit. Ihr fiel auf, dass sich auf den Rückseiten vieler Bilder Etiketten, Stempel, Siegel, Namen, Zahlen befanden. „Ich verstand die Zeichen zwar nicht, aber ich hatte eine Ahnung, dass sie von Bedeutung sein mussten." Lillie bat Paul Grosz, damals Präsident der IKG, die Rückseiten der Bilder abfotografieren zu dürfen. Und dieser gab ihr den Schlüssel zum Depot: „Mach!", soll er gesagt haben. Zwei Freunde, Uli Kohl und Stefan Oláh, erledigten die Arbeit.
Die Geheimnisse der Spuren zu lüften gelang Sophie Lillie damals noch nicht. Erst nach der Beschlagnahme von Schieles Wally-Porträt aus der Sammlung Leopold im Jänner 1998 und der nachfolgenden Weisung der damaligen ÖVP-Kulturministerin Elisabeth Gehrer, die Archive für die Provenienzforschung zu öffnen, konnte sie ihre detektivische Arbeit aufnehmen.

Bis dato eruierte sie bei rund 50 „herrenlosen" Bildern die einstigen Eigentümer: Wilhelm Freund, Arthur Lourié, Hermann Wilhelm Soltau, Robert Kobler, Leo Zipper, Elisabeth Fischer, Arthur Fuchs und so weiter. In ihrem Katalogbeitrag schreibt sie: „Österreich ließ seine Opfer bewusst im Dunkeln tappen. (...) Eine zeitgemäße Aufarbeitung dieser Dokumente hätte nicht nur die Rückstellung vieler Mauerbach-Objekte, sondern hunderter anderer entzogener Gegenstände ermöglicht." Der Staat aber strebte die Liquidierung des scheinbar „herrenlosen Besitzes" an: „Um diesen letzten Schritt der ‚Kulturgüterbereinigung‘ zu vollziehen, bediente sich Österreich der Opfer des NS-Terrors - und implizierte somit die Verwicklung ehrenwerter jüdischer Proponenten in einen der größten Skandale der Zweiten Republik."

Die stummen Zeugen der Enteignung stellt Arye Wachsmuth, der Mann von Sophie Lillie, im MAK ins Zentrum seiner vielschichtigen Rauminstallation Retracing The Tears: Ganz langsam flimmern die Fotos der Rückseiten über den Bildschirm - als endloses Band.

Erika Jakubovits, Geschäftsführerin der IKG, weiß um das Dilemma: „Wir haben damals mehrfach nachgefragt. Man versicherte uns: Die Objekte, die wir übernommen haben, seien herrenloses Gut. Die Republik sollte nun einen Weg finden, die ehemaligen Besitzer, deren Objekte versteigert wurden, zu entschädigen. Wir wissen ja, welchen Betrag jedes Bild erzielte." Die Provenienzforscherin Sophie Lillie spricht von einem „der größten Skandale der Zweiten Republik": Die Eigentümer vieler in der Mauerbach-Auktion 1996 versteigerter Kunstwerke waren den Behörden bekannt.

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