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Die späte Rückgabe der gestohlenen Bücher - The Late Return of Stolen Books

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1945
Hamburger Abendblatt 18 July 2013
Von In einer Feierstunde überreichte die Staatsbibliothek am Mittwoch 420 von den Nazis geraubte Bände an die Urenkelin des einstigen Besitzers, die als Vertreterin der Familie aus New York angereist war.


Nancy Petschek-Kohn, die Urenkelin des Industriellen Ignaz Petschek, am Mittwoch in der Staatsbibliothek mit einigen der einst geraubten Bücher

In einer Feierstunde überreichte die Staatsbibliothek am Mittwoch 420 von den Nazis geraubte Bände an die Urenkelin des einstigen Besitzers, die als Vertreterin der Familie aus New York angereist war.

Hamburg. Zu Hause in Aussig an der Elbe sprach man Deutsch, man las aber nicht nur deutsche Bücher, sondern auch französische und englische Titel. Die Bibliothek in der vornehmen Villa von Ignaz Petschek (1857–1934) enthielt viel Belletristik, aber auch wissenschaftliche Werke, historische Darstellungen sowie Bücher zur Religionsgeschichte und Judaica, teilweise auch in hebräischer Sprache. Petschek war ein extrem erfolgreicher Unternehmer, er besaß große Anteile an Firmen der böhmischen, mitteldeutschen und Lausitzer Braunkohleförderung, war aber auch ein kultivierter und gebildeter Mann. Er sammelte Kunstwerke und trat auch als Mäzen in Erscheinung. Besonders förderte er die jüdische Gemeinde seiner Heimatstadt Aussig.
 
"Das Spektrum dieser Bibliothek zeugt von gediegenem Bildungsbürgertum, beweist aber auch, dass ihre Besitzer Freude an schönen Büchern hatten", sagt Ulrike Preuß, die an dem Projekt zur Erforschung und Aufarbeitung von geraubten Büchern der Staats- und Universitätsbibliothek mitarbeitet. Auf den böhmischen Industriellen Ignaz Petschek ist sie schon vor Jahren gestoßen, als sie in den Beständen der Staats- und Universitätsbibliothek nach Titeln suchte, die ihren Besitzern in der NS-Zeit geraubt worden waren. Am Mittwoch übergab die Hamburger Bibliothek im Rahmen einer kleinen Feierstunde insgesamt 420 Bücher an die Urenkelin von Ignaz Petschek, die als Vertreterin der Familie aus New York angereist war.

Damit findet die Odyssee einer Büchersammlung ein spätes Ende, die vor 75 Jahren mit der Annexion des Sudetenlandes durch das nationalsozialistische Deutschland begonnen hatte, vier Jahre nach dem Tod von Ignaz Petschek. Als die deutschen Truppen in Aussig an der Elbe, dem tschechischen Usti nad Labem, einmarschierten, war der Besitz der jüdischen Familie Petschek eines ihrer ersten Ziele. Alle Unternehmen der Petschek-Gruppe wurden "arisiert", ein wichtiger Nutznießer war der Flick-Konzern. Man beschlagnahmte auch den persönlichen Besitz der Familie, Gestapo-Beamte durchsuchten die Villen in Prag und in Aussig und ließen Position für Position akribisch aufschreiben, was an Möbeln, Kunstgegenständen, Porzellan und Büchern abtransportiert wurde. Um emigrieren zu können, mussten die Familienmitglieder eine fingierte Steuerschuld begleichen, die als scheinjuristische Rechtfertigung für den kompletten Vermögenseinzug diente.

Die Bücher wurden teilweise versteigert, landeskundliche Bände kamen in die zentrale Bibliothek des Reichsgaus Sudetenland in Reichenberg, dem heutigen Liberec. Der größte Teil wurde jedoch von der Berliner Reichstauschstelle übernommen. Diese verschickte sogenannte "Angebotslisten" an die Bibliotheken im gesamten Reichsgebiet, die durch den Bombenkrieg Bestände verloren hatten.

Die Hamburger Staats- und Universitätsbibliothek, die beim Feuersturm im Juli 1943 etwa 700.000 Bände verloren hatte, griff kräftig zu. Aus dem Angebot der Reichstauschstelle orderte sie damals umfangreiche Bestände, darunter auch mehr als 400 Bücher, die zur Bibliothek der Familie Petschek gehörten. Dabei handelt es sich überwiegend um französisch- und englischsprachige Titel, aber zum Beispiel auch um ein hebräisch geschriebenes Buch. "Von der Gestapo Hamburg überwiesen", ist auf einem Dokument zu lesen. In Anbetracht des Bombenkriegs wurden die Bücher jedoch nicht gleich nach Hamburg transportiert, sondern in ein von mehreren Hamburger Institutionen genutztes Ausweichlager, das sich in einem Schloss im sächsischen Hermsdorf in der Nähe von Dresden befand.

Unmittelbar nach Kriegsende hatte die Staatsbibliothek keinen Zugriff auf die Bücher, da sich Hermsdorf in der sowjetischen Besatzungszone und später in der DDR befand. Erst 1957 konnte sie die Bücher übernehmen, die gemeinsam mit der Bibliothek der Jüdischen Gemeinde wieder nach Hamburg gelangt waren. Ob sich die Bibliothekare, die die Bücher damals in den Hamburger Bestand einarbeiteten, Gedanken über deren Herkunft gemacht haben? In den allermeisten Bänden klebte ein Exlibris, auf dem die Namen der Besitzer vermerkt waren. Darüber erkennt man in einer Kartusche Schloss Schreckenstein, die eindrucksvolle Burganlage, die dank eines berühmten Gemäldes von Ludwig Richter ein vertrautes Motiv der deutschen Kunstgeschichte ist. Im Lauf der Zeit konnte Ulrike Preuß 420 Bücher dem Besitzerehepaar Helene und Ignaz Petschek zuordnen.

Der Name bildet bei der Restitution von Raubgut immer den Ausgangspunkt, aber oft erweist es sich als schwer oder gar unmöglich, Nachkommen und Erben zu ermitteln und mit ihnen in Kontakt zu treten. In diesem Fall hatte Ulrike Preuß jedoch auf Anhieb Glück, denn die Urenkelin Nancy Petschek-Kohn, die sie in New York ermittelt hatte, kennt ihre Familiengeschichte und beschäftigt sich auch beruflich mit Themen, die in Zusammenhang mit dem Holocaust und Restitutionsfragen stehen. "Die Fragen von Raubgut und dessen Restitution werden uns noch lange beschäftigen", meint Maria Kesting, die das Projekt zur Erforschung von Raubgut an der Stabi leitet. "Selbst Erwerbungen nach 1945 bieten keine Sicherheit, denn auch bei antiquarischen Ankäufen ist die Herkunft vielfach ungeklärt." Seit 2006 bemüht sich die Stabi mit beträchtlichem Aufwand darum, verdächtige Zugänge aufzufinden, sie zu kennzeichnen und den Erben zu übergeben. Grundlage dafür ist die "Gemeinsame Erklärung der Bundesregierung, der Länder und der kommunalen Spitzenverbände zur Auffindung und zur Rückgabe NS-verfolgungsbedingt entzogenen Kulturgutes, insbesondere aus jüdischem Besitz".

Im Alltag ist das ein mühsamer Prozess, vor der gestrigen Rückgabe konnte die Stabi auf diese Weise nur etwa 40 Bücher restituieren. "Das heißt nicht, dass diese Bände in jedem Fall unser Haus verlassen müssen. Es kommt auch vor, dass uns die Erben die bei ihren Vorfahren geraubten Bücher später schenken. Auch das wird selbstverständlich im Katalog vermerkt", sagt Maria Kesting, die es für unwahrscheinlich hält, dass es wieder einmal zu einer so großen Rückgabe kommen wird wie gestern mit der Petschek-Bibliothek.
http://www.abendblatt.de/kultur-live/article118152647/Die-spaete-Rueckgabe-der-gestohlenen-Buecher.html
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