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'NS-Provenienz-forschung an österreichischen Bibliotheken. Anspruch und Wirklichkeit'

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Title

NS-Provenienz-forschung an österreichischen Bibliotheken. Anspruch und Wirklichkeit

Author

Bruno Bauer, Christina Köstner-Pemsel, Markus Stumpf, eds.

Date

November 2011

Description

Writings of the Austrian Association of Librarians, Volume 10), Graz 2011

Provenienzforschung seit 1998
12-1 NS-Provenienzforschung an österreichischen Bibliotheken : Anspruch und Wirklichkeit / hrsg. von Bruno Bauer, Christina Köstner-Pemsel und Markus Stumpf. - Graz ; Feldkirch : Neugebauer, 2011. - 542 S. : Ill. ; 23 cm. - (Schriften der reinigung österreichischer Bibliothekarinnen und Bibliothekare ; 10).- ISBN 978-3-85376-290-5 : EUR 59.90 [#2407]

Seit dem Inkrafttreten des Kunstrückgabegesetzes im Jahre 1998 haben sich österreichische Bibliothekare intensiv mit der Ermittlung von Raubgut der NS-Zeit beschäftigt und bereits eine Reihe von wichtigen Ergebnissen erzielt. (1) In der bedeutendsten Bibliothek des Landes, der Österreichischen Nationalbibliothek, sind die Recherchen bereits weitgehend abgeschlossen, in anderen, vor allem in nichtstaatlichen Bibliotheken dauert die Suche noch an. Die Gründung einer Arbeitsgruppe NS-Provenienzforschung im VÖB zeigt deutlich, wie ernst man die Aufarbeitung des Bücherraubs zwischen 1938 und 1945 inzwischen nimmt. (2)

Die Einleitung, vor allem aber der höchst aufschlußreiche Erfahrungsbericht des Buch-und Bibliothekshistorikers Murray G. Hall (Rückblicke eines Buch- und Zeithistorikers) belegen nachdrücklich, daß dies bis in 1990er Jahre nicht so war. Man gefiel sich in Österreich lange in der Opferrolle. Vie-    le durchaus als Täter zu bezeichnende Zeitgenossen leugneten hartnäckig ihre Beteiligung an den Raubzügen der Nationalsozialisten. Hall, der als einer der ersten schon in den 1980er Jahren jenes sensible Thema ansprach und dabei Roß und Reiter nannte, wurde von den Betroffenen wüst beschimpft, ja sogar vor Gericht gezerrt.

Die weitverbreitete Verdrängungshaltung beantwortet zum Teil die von Eva Blimlinger gestellte Frage Warum denn nicht schon früher?, eine Frage, die sich jedem Historiker stellt, der sich mit der Aufarbeitung des NS-Erbes befaßt. Eine absolut schlüssige Antwort gibt es nicht!

Die momentane Situation in deutschen Bibliotheken, die aber der Lage in Österreich sehr ähnelt, schildert Frank Möbus (Von engen Netzwerken und großen Maschen). Sein wörtlich  iedergegebenes, wahrhaft skurriles Telefonat mit einer großen süddeutschen Bibliothek zeigt deutlich die auch heute noch vorhandenen Berührungsängste mit der Raubgutthematik. Erst als Möbus in einem zweiten Telefonat nicht von „Raub- und Beutegut“ sprach, antwortete die fragliche Bibliothek umfassend. Der Beitrag spricht zusätzlich die strukturellen Probleme der Provenienzforschung an. Sie ist teuer, wird fast immer aus Drittmitteln finanziert, die rekrutierten Mitarbeiter haben Zeitverträge, die vielleicht gerade einmal ausreichen, um sie halbwegs für ihre anspruchsvolle Tätigkeit zu qualifizieren. Im Rahmen des heute üblichen Rankings schlagen Erfolge nicht zu Buche. Von Provenienzforschern, die sich ausschließlich mit der Thematik befassen können, wird man wohl noch lange träumen. Auch wenn in den letzten Jahren ein immer engmaschigeres, internationales Netz von Raubgut-Forschern entstanden ist, sind die anstehenden Aufgaben allzu groß, dürfte doch keine deutsche oder österreichische Hochschulbibliothek, auch die jüngeren nicht, frei von Raubgut sein.

Über den Antiquariatsmarkt gelangten derartige Bestände in Neugründungen der Nachkriegszeit. Walter Mentzel unterstreicht in seinem Forschungsbericht die bedeutende Rolle Wiener Antiquariate bei der Übernahme von requiriertem jüdischem Buchbesitz und dessen Veräußerung. Neben Bibliotheken und Museen profitierten auch Archive in großem Stil von Raubgut, wie Franz J. Gangelmayer am Beispiel der Parteiarchive der NSDAP belegt.

Welch hoher Aufwand mit rein zahlenmäßig geringem, aber moralischen hohem Ertrag bei der Suche nach Rechtsnachfolgern, überwiegend Juden und Opfer der Shoah, betrieben wird, zeigt uns Sabine Loitfellner in einer weiteren Überblicksdarstellung (Das Procedere danach). In vielen Fällen konnten trotz enger Kooperation mit der Israelitischen Kultusgemeinde Wien keine Erben mehr ermittelt werden. Man verfehlt also leider das Ziel aller intensiven Bemühungen.

Die folgenden Berichte und Projektskizzen aus den Universitätsbibliotheken zeigen deutlich, daß das Gesetz von 1998 und die zahlreichen Appelle mittlerweile vielfache Resonanz gefunden haben. Über Initiativen des letzten Jahrzehnts, vor allem in Wiener Bibliotheken, ist schon früher berichtet worden. Inzwischen beteiligen sich fast alle Hochschul-, aber auch Landes-, Museums- und Behördenbibliotheken an Suche nach Raubgut in ihren Beständen. Ohne alle 22 Einzelbeiträge  nsprechen zu können, seien zwei Sammlungen exemplarisch herausgegriffen.

Da ist zunächst die „Sammlung Tanzenberg“, benannt nach Kloster Tanzenberg in Kärnten, wohin die für die geplante Bibliothek der Hohen Schule der NSDAP vom Einsatzstab Reichsleiter Rosenberg in ganz Europa geraubten Buchbestände ausgelagert worden waren. Es war ein „riesiger Berg verschmutzter mit Schüren verpackter Bücher“, der die Universitätsbibliothek Wien 1951 erreichte (Peter Malina). Die Relikte der Ostbücherei Rosenberg, soweit es sich um Judaica und Hebraica handelte, mußte man sich mit der National- und Universitätsbibliothek in Jerusalem teilen. Nur ein relativ geringer Teil der Sammlung Tanzenberg wurde in den Bestand der Universitätsbibliothek Wien eingearbeitet.

Für die Universitätsbibliothek Graz liegt mittlerweile eine Dissertation zum Thema von Katharina Bergmann-Pfleger (3) vor, die hier mit Werner Schlacher die Grazer Provenienzforschung schildert.

Einen schnellen Einblick in die erzielten Forschungsergebnisse und weiteren Planungen geben uns im Anhang die deutschen und englischen Zusammenfassungen (Abstracts und keywords). Dort finden wir auch die Kurzbiographien der Beteiligten, die bereits erwähnte Auswahlbibliographie zum Thema sowie ein Sach- und Personenregister. Sehr instruktiv ist die notwendigerweise unvollständige alphabetische Liste Abgeschlossenen und offenen Restitutionsfälle (S. 516 - 520). Unter anderem erfahren wir, daß der Verleger Gottfried Bermann-Fischer von der Österreichischen Nationalbibliothek etwa 2000 Druckschriften bereits in den Jahren 1947 bis 1949 zurückerhielt. Da Erben nicht zu ermitteln waren, bleibt der Fall der Philologinnen Elise und Helene Richter4 vorläufig offen.

Herausgeber und Autoren haben uns einen gelungenen Überblick über den momentanen Stand der Suche nach NS-Raubgut in den wichtigsten österreichischen Bibliotheken gegeben. Allen beteiligten Provenienzforschern dient der Sammelband aber auch als „Einführungs- und Nachschlagewerk“ (S. 14). Das Buch ist ohne Zweifel ein weiterer wichtiger Baustein zur Ermittlung von NS-Raubgut (5) in ehedem großdeutschen Bibliotheken und damit zugleich auch zur deutsch-österreichischen Bibliotheksgeschichte der NS-Zeit.

Manfred Komorowski

(1)  Vor allem ... allerlei für die Nationalbibliothek zu ergattern ... : eine österreichische Institution in der NS-Zeit / Murray G. Hall ; Christina Köstner. - Wien [u.a.] : Böhlau, 2006. - 617 S. : Ill. ; 25 cm. - ISBN 978-3-205-77504-1 - ISBN 3-205- 77504-X : EUR 59.00, EUR 49.00 (Subskr.-Pr. bis 31.12.2006) [8964]. - Rez.: IFB 06-2-189 http://swbplus.bsz-bw.de/bsz252961536rez.pdf - Bibliotheken in der NS-Zeit : Provenienzforschung und Bibliotheksgeschichte / Stefan Alker ; Christina Köstner ;  Markus Stumpf (Hg.). - Göttingen : V&R Unipress, Vienna University Press, 2008. - 349 S. : Ill. ; 25 cm. - (Publikationen der Universitätsbibliothek Wien). - ISBN 978-3-89971-450-0 : EUR 37.90 [9936]. - Rez.: IFB 08-1/2-041 http://swbplus.bsz-bw.de/bsz281572194rez.htm - Vgl. außerdem die Auswahlbibliographie im vorliegenden Band (S. 521- 527). 

(2)  Inhaltsverzeichnis: http://d-nb.info/101455506x/04

(3) 3 Geschichte der Universitätsbibliothek Graz 1938 - 1945 / Katharina Bergmann- Pfleger. - Wiesbaden : Harrassowitz, 2011. - 286 S. : Ill., graph. Darst. ; 25 cm. - (Buchforschung ; 6). - ISBN 978-3-447-06569-6 : EUR 64.00 [#2362]. - Rez.: IFB 12-1 http://ifb.bsz-bw.de/bsz 352880074rez-1.pdf

(4)  Vgl. zuletzt: Bücherspuren : das Schicksal von Elise und Helene Richter und ihrer Bibliothek im "Dritten Reich" / Christiane Hoffrath. - Köln [u.a.] : Böhlau, 2009 [ersch. 2008]. - 224 S. : Ill. ; 25 cm. - ISBN 978-3-412-20284-2 : EUR 34.90 [0124]. - Rez.: IFB 08-1/2-043 http://swbplus.bsz-bw.de/bsz303371714rez.htm - Der Band liegt jetzt in einer 2., durchges. und erg. Aufl. 2010 vor.

(5) 5 Dazu soeben erschienen: NS-Raubgut in der Universitätsbibliothek Leipzig : [Katalog zur Ausstellung in der Bibliotheca Albertina, 27. November 2011 bis 18. März 2012] / [UBL, Universitätsbibliothek Leipzig]. Hrsg. von Cordula Reuß. Mit Beitr. von Anett Krause ... - Leipzig : Universitäts-Verlag, 2011. - 86 S. : Ill. ; 23 cm. - (Schriften aus der Universitätsbibliothek Leipzig ; 25). - ISBN 978-3-86583- 625-0 (Univ.-Verl.) - ISBN 978-3-910108-81-3 (Univ.-Bibl.) : EUR 19.00 [#2454]. - Wegen der zentralen Bedeutung der Reichstauschstelle auch für Österreich vgl. den seit 2010 und zuletzt für Februar 2012 angekündigten Band "Beschlagnahmte Bücher" : Reichstauschstelle und Preußische Staatsbibliothek zwischen 1933 und 1945 ; Aspekte der Literaturversorgung unter der Herrschaft des Nationalsozialismus / Claudia Briel. - Berlin : Akademie-Verlag, 2012. - ca. 400 S. : Ill. ; 24 cm. - ISBN 978-3-05-004902-1 : EUR 49.80. - Ein ganz wichtiger Sammelpunkt von Raubgut war das Offenbach Archival Depot, dessen Geschichte das folgende, für Dezember 2011 angekündigte Buch erzählt: Fast vergessen : das amerikanische Bücherdepot in Offenbach am Main von 1945 bis 1949 / Gabriele Hauschke- Wicklaus ;  Angelika Amborn-Morgenstern ; Erika Jacobs. Geschichtswerkstatt Offenbach am Main. - Offenbach am Main : Berthold, 2011. - 120 S. : Ill. ; 30 cm. - ISBN 978-3-939537-14-4 : EUR 14.50. - Rezension aller drei Bände sind in IFB vorgesehen.

QUELLE
Informationsmittel (IFB) : digitales Rezensionsorgan für Bibliothek und Wissenschaft
http://ifb.bsz-bw.de/
http://ifb.bsz-bw.de/bsz352814942rez-1.pdf
 

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